1. Brief – Göteborg, 28. Juni 1846, ein Sonntagmorgen (A)

Liebste A. (1)!
Nun singe ich – wie man so sagt – meine letzten Töne hier im Vater- und Mutterland. Alles ist für unsere Abreise vorbereitet: Koffer, Handkoffer und Hutschachtel, d. h. das schwere Gepäck, sind schon mit dem Schiff nach Klippan geschickt worden, und nur die Schatullen, Handtaschen und der kleine Anhang, nämlich wir selbst, sind noch an Land, aber bald verlassen auch wir dieses trockene, stille und städtische Element, um auf dem unruhigen und fließenden zu schaukeln. Nur die W.s (2), die freundlichen, treuen Menschen, die versprochen haben, uns in ihrem großen geräumigen Wagen nach Klippan zu fahren – wo das norwegische Dampfschiff liegt – nur sie kommen, dann sind wir und all die anderen Freunde, die uns auch dorthin begleiten wollen, fertig. Der Morgen war recht unruhig, das Packen und die vielen Besuche und Abschiede, alles verging wie im Flug. Noch immer schwirren Abschiednehmende umher, noch immer rafft E. (3) Gepäckstücke zusammen und bekam gerade eben das schönste Geschenk – Elfenbeinplatten mit einem kleinen Bleistift, eingefaßt in Schildpatt und Gold. Sie freute sich sehr über diese nützliche Gabe und darüber, dass die liebenswürdige Spenderin an sie gedacht hatte. Ja, alles ist schön, das Wetter ist herrlich, der Wunsch, ins Ausland zu reisen, den ich schon seit meinem siebten Lebensjahr hege, wird nun bald in Erfüllung gehen, es hat nur gute Seiten – und dennoch – dennoch zittere ich, ich weiß nicht warum. Ich wollte dieses Gefühl analysieren, schaffe es aber nicht, und das ist vielleicht auch gut so. Jetzt schlägt es ein Uhr, jetzt sollen die W.s kommen! Nun bitten die anderen mich aufzuhören, und das tue ich auch … genau wie Emelie mitten in ihrem Herzklopfen – denn: „Jetzt kommt der Wagen.“
Lebt wohl, Ihr Schweden! Leb wohl, Schweden! Werde ich Dich wiedersehen? Werde ich lebend zurückkommen … oder tot? Wer antwortet mir? Niemand!

Anmerkungen der Übersetzerin:
1) Sophie von Knorrings Schwester Augusta Zelow (1800 – 1857)
2) Der volle Name der W.s war leider nicht in Erfahrung zu bringen.
3) Ebba von Knorring (1821 – 1864), Sophie von Knorrings Tochter
4) „Emilies Hjertebanken“: Vaudeville-Monolog von Johan Ludvig Heiberg, erschienen 1840, http://www.kb.dk/e-mat/dod/130021511170.pdf.

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