1. Brief – Göteborg, 28. Juni 1846, ein Sonntagmorgen (C)

Als wir alles geordnet hatten, d. h. als alles ausgepackt war und durcheinander lag, ging E. an Deck, um Elfsborg zu sehen, doch ich sagte zum ersten- und sicher nicht zum letztenmal: „Mich interessiert es nicht, ich werde ja noch soviel sehen!“ … und legte mich schlafen. Doch das war leichter gesagt als getan, denn wegen der unerträglichen Hitze konnte ich die Kojentür nicht schließen. Ich lag sozusagen in einer Loge in der ersten Reihe und hatte den Salon als Bühne, und siehe da, dort wurden Melodramen, Tragödien und Komödien aufgeführt.
Eine Mutter gab ihren Söhnen und Töchtern – kleinen blonden gesprächigen Norwegern – Zwieback und Butterbrot. Eine andere Mutter gab ihrem acht Wochen alten Erben die natürlichste Nahrung von allen und erklärte den anderen um sie herum stehenden Damen, daß bei ihr die Mutterliebe jeden Anflug von Seekrankheit (ich schauderte schon bei dem Wort, ich Glückliche, die so etwas nur dem Namen nach kennt) vertreiben würde.
Doch jetzt regte sich lauter Widerspruch, und zwar von … Signora Bendini (1), die in gutem und klingendem Hochdeutsch erklärte, daß sie ein solches Muttergefühl nicht begreifen könne. Es kam zu einer wortreichen Diskussion, die mich – ich kann es nicht verhehlen – sehr amüsierte. Es war interessant, die eifrigen Worte der jungen Mutter über ihre mütterlichen, häuslichen, ehelichen Pflichten mit den Ansichten der leichtsinnigen Künstlerin zu vergleichen, die von einem Land zum nächsten und von einer Idee zur nächsten irrlichtert.

Anmerkung der Übersetzerin:
(1): Elisa Bendini, italienische Sängerin.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Inhaltsverzeichnis

2. Brief – Kopenhagen, 7. Juli 1846 (Z)

1. Brief – Göteborg, 28. Juni 1846, ein Sonntagmorgen (B)