2. Brief – Kopenhagen, 7. Juli 1846 (W)

Sonntag hatten wir einen herrlichen Vormittag. Der Bischof zelebrierte selbst eine „Bischofsweihe“ in der Frauenkirche, und es war eine der feierlichsten Zeremonien, denen ich je beigewohnt hatte. Wir waren vom Bischof eingeladen worden und hatten Eintrittskarten von ihm bekommen. Sein Sohn führte uns zu guten Plätzen, direkt neben dem herrlichen Taufbecken: Thorvaldsens Engel mit der Muschel in beiden Händen. Die Kirche, dieser schöne Gottestempel, war überfüllt von Leuten, die vornehm gekleidet und feierlich gestimmt waren, fand ich. Der Bischof stand in einem Gewand aus Goldbrokat mit weißen und grünen Verzierungen selbst vor dem Altar, und der neue Bischof, der auf Island angestellt ist, war genauso gekleidet und saß vor ihm. Das sah ungewöhnlich aus. Bischof M. sprach fast eine Stunde lang heilige Worte, und man sah deutlich, daß sie von Herzen kamen. Sechs oder acht andere Geistliche trugen weiße Meßgewänder mit breiten Spitzen – Kleidung, die unseren Morgen- und Abendröcken ähnelte, aber ich hoffe, uns Damen steht sie ein wenig besser. Aber es ist ja unverschämt, mitten in einer Bischofsweihe solche Gedanken zu hegen! So etwas wäre einem … Herrn nie passiert! Nein, die sind kluge Wesen, vor allem die Reiseschriftsteller. Sie sind nicht immer amüsant, aber ach! So unglaublich klug und vernünftig! Übrigens war es schön, zu sehen, wie die weißgekleideten Geistlichen dem neuen Bischof ihre segnenden Hände auf den Kopf legten. Das Ganze war sehr feierlich und ging zu Herzen. Vor und nach der Weihe sang das Personal der Oper mehrere Choräle, deren Texte gedruckt auf allen Plätzen der geladenen Gäste lagen. Man saß auf Stühlen, und wir saßen so nahe beim Taufbecken, daß unsere Plätze beinahe den Teppich erreichten, den mehrere junge Kopenhagener Dame gestickt hatten, um darunter zu liegen.

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